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Umfassendes Modell sagt komplexe Dynamik bei der radikalischen Photopolymerisation voraus

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15. März 2024 (Nanowerk-Scheinwerfer) Die Fähigkeit, flüssige Monomere mithilfe von Licht schnell in feste Polymere umzuwandeln, ist seit über einem halben Jahrhundert eine transformative Technologie. Dieser als Photopolymerisation bekannte Prozess ermöglicht die schnelle Herstellung von Beschichtungen, Klebstoffen, Zahnfüllungen und komplexen 3D-gedruckten Strukturen nach Bedarf. Bei der Photopolymerisation absorbieren lichtempfindliche Verbindungen, sogenannte Photoinitiatoren, Photonen und erzeugen reaktive chemische Spezies, sogenannte freie Radikale. Diese freien Radikale verknüpfen dann schnell Monomere zu langen Polymerketten, wodurch die Flüssigkeit zu einem gehärteten Kunststoffmaterial erstarrt. Trotz ihrer weit verbreiteten Verwendung ist die genaue Vorhersage und Kontrolle der komplexen chemischen und physikalischen Veränderungen, die während der Photopolymerisation auftreten, seit langem eine Herausforderung. Die starke Kopplung zwischen Lichtabsorption, Wärmeerzeugung, molekularer Diffusion und der Kinetik chemischer Reaktionen führt zu starken Gradienten der Materialeigenschaften, die sich zeitlich und räumlich entwickeln. Bestehende mathematische Modelle haben häufig wichtige Aspekte dieses dynamischen Zusammenspiels vernachlässigt, was ihre Vorhersagekraft und Allgemeingültigkeit einschränkt. Nun haben die Forscher Adam Dobson und Christopher Bowman von der University of Colorado ein umfassendes Rechengerüst entwickelt, das die Feinheiten der Photopolymerisation mit beispielloser Genauigkeit erfasst. Ihr Modell vereint jahrzehntelange theoretische und experimentelle Erkenntnisse in einer zusammenhängenden multiphysikalischen Simulationsplattform. Durch die explizite Berücksichtigung der Auswirkungen von Sauerstoffhemmung, Lichtabschwächung, Wärmeübertragung, Komponentenmobilität und den unterschiedlichen Reaktivitäten kurzer und langer Polymerketten kann das Modell die vollständige räumlich-zeitliche Entwicklung des polymerisierenden Systems vorhersagen. Das Team berichtet über seine Ergebnisse in Fortgeschrittene Funktionsmaterialien („Ein umfassendes, mehrdimensionales First-Principles-Modell für radikalische Photopolymerisationen in Massen- und Dünnfilmen“). Komplexität der Modellierung der radikalischen Photopolymerisation Komplexität der Modellierung der radikalischen Photopolymerisation. A) Schematische Darstellung ausgewählter Gradienten auf der Makroskala und der lokalen Mikroskala, die sich auf die Polymerisationskinetik und die endgültigen Materialeigenschaften auswirken. B) Polymerisationsgeschwindigkeit als Funktion der Umwandlung 25 µm von der oberen Oberfläche der Probe entfernt zeigt sich ein Anstieg der Polymerisationsgeschwindigkeit (Rp) mit zunehmender Lichtintensität. Die maximale Polymerisationsgeschwindigkeit skaliert mit I00.54 für höhere Intensitäten aber mit I01.1 für geringere Intensitäten. C) Simulierte Umwandlungsprofile nach 60-sekündiger Einwirkung zeigen dramatische Gradienten im Aushärtungsgrad aufgrund von Faktoren wie Sauerstoffhemmung, Speziesdiffusion und Wärmeübertragung. Simulationen gehen von einem optisch dünnen, 100 μm dicken Film aus 1,6-Hexandioldiacrylat mit 0.01 M Irgacure 819 aus, der schwach konvektiv ist (h = 10 W m).-2 K-1) thermische Randbedingungen der Oberfläche und konstante Sauerstoffkonzentration an der Oberfläche, ausgehärtet mit 405-nm-Licht bei Intensitäten von 1 (schwarz), 3 (gelb), 5 (blau), 10 (grau) oder 20 (grün) mW cm-2. (Nachdruck mit Genehmigung des Wiley-VCH Verlags) Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Fähigkeit des Modells, die dramatische Verschiebung der Reaktionskinetik zu berücksichtigen, die bei der Bildung des Polymernetzwerks auftritt. Wenn Monomere und kurze Polymerketten zunächst sehr mobil sind, verläuft die Polymerisation schnell, da sich freie Radikale leicht ausbreiten und terminieren können. Mit dem Wachstum des vernetzten Netzwerks wird jedoch die Diffusion reaktiver Spezies zunehmend eingeschränkt. Das Modell erfasst diesen Übergang, indem es die Geschwindigkeitskonstanten für Ausbreitung und Beendigung basierend auf dem sich entwickelnden „freien Volumen“, das für die molekulare Bewegung zur Verfügung steht, dynamisch anpasst. Dieses freie Volumen wird anhand der Wärmeausdehnungskoeffizienten und Glasübergangstemperaturen jeder reagierenden Spezies geschätzt. Die Einbeziehung solcher zusammensetzungs- und umwandlungsabhängigen Mobilitäten ermöglicht es dem Modell, nahtlos den gesamten Bereich der Radikalkinetik abzudecken, von der Gelbildung im Frühstadium bis zur Spätvitrifizierung, eine Fähigkeit, die es von früheren Modellen unterscheidet. Um ihren Ansatz zu validieren, verglichen die Forscher Modellvorhersagen mit experimentellen Messungen der Polymerisationskinetik von 1,6-Hexandioldiacrylat, einem weit verbreiteten Monomer, über einen Bereich von Photoinitiatorkonzentrationen und Lichtintensitäten. Das Dobson-Bowman-Modell erfasste die vollständigen Konversionsprofile über alle Intensitäten genau, nachdem nur ein Fall mit niedrigerer und mittlerer Rate angepasst wurde. Im Gegensatz dazu konnten einfachere, von der Kettenlänge unabhängige Modelle nur eine einzige Aushärtungsbedingungen erfüllen. Beispielsweise bei der höchsten Lichtintensität von 50 mW/cm2Das Modell sagte eine Endumwandlung innerhalb von 2 % des experimentell beobachteten Werts voraus und demonstrierte damit seine Robustheit im Umgang mit verschiedenen Reaktionsbedingungen. Das Modell beleuchtet auch die entscheidende Rolle der Sauerstoffhemmung bei der Gestaltung der Polymerisationskinetik, insbesondere in der Nähe der beleuchteten Oberfläche. Durch ständiges Nachfüllen von gelöstem Sauerstoff kann die ungehärtete Flüssigkeitsschicht in Kontakt mit Luft die freien Radikale stark abbauen und die Polymerisationsgeschwindigkeit begrenzen. Das Modell sagt die Dicke dieser Hemmzone und ihre Abhängigkeit von der Lichtintensität quantitativ voraus und zeigt eine hervorragende Übereinstimmung mit etablierten analytischen Skalierungsgesetzen. Das Modell sagt beispielsweise voraus, dass eine Verdoppelung der Lichtintensität die Dicke der Inhibitionsschicht um fast 30 % verringert, was der aus der Theorie erwarteten Quadratwurzelabhängigkeit weitgehend entspricht. Diese Erkenntnisse bieten eine rationale Grundlage für die Entwicklung von Aushärtungsprotokollen und Harzformulierungen, die die schädlichen Auswirkungen von Sauerstoff abmildern. Ein weiterer wichtiger Fortschritt ist die nahtlose Integration von Wärmeerzeugung und -transport in den Modellierungsrahmen. Das Modell berücksichtigt genau die durch die exothermen Polymerisationsreaktionen freigesetzte Wärme, den Temperaturanstieg aufgrund der Lichtabsorption sowie die leitende und konvektive Übertragung dieser Wärmeenergie. Simulationen zeigen, dass scheinbar geringfügige Änderungen der thermischen Randbedingungen die Polymerisationskinetik dramatisch beeinflussen können. Selbst in dünnen Filmen verändert die Verwendung von isolierten gegenüber leitenden Substraten die Reaktionsexotherme, was sich wiederum auf die Diffusion, den Beginn der Autobeschleunigung, die Grenzumwandlung und die Aushärtungstiefe auswirkt. Das Modell sagt beispielsweise voraus, dass eine isolierende Grenze die endgültige Umwandlung im Vergleich zu einer leitfähigen Grenze um bis zu 20 % steigern kann, während gleichzeitig die Aushärtungstiefe um die Hälfte reduziert wird. Das Modell sagt sogar die sich selbst ausbreitenden Reaktionsfronten voraus, die aufgrund der Kopplung zwischen thermischer Diffusion und Initiatorzersetzung in dickeren Schichten entstehen können. Am beeindruckendsten ist vielleicht, dass die Vorhersagekraft des Modells über eindimensionale Profile hinaus bis hin zu vollständigen dreidimensionalen Strukturen reicht. Durch die Einbeziehung eines räumlich variierenden Lichtintensitätsprofils simulierten die Forscher die Polymerisation eines zylindrischen Volumenelements oder „Voxels“ unter Bedingungen, die für den stereolithografischen 3D-Druck relevant sind. Das Modell erfasste das komplexe Zusammenspiel zwischen der seitlichen Sauerstoffdiffusion aus dem umgebenden ungehärteten Harz und der Schwächung des Lichts mit der Tiefe. Bemerkenswerterweise reichte die Beleuchtungszeit allein nicht aus, um die Abmessungen des ausgehärteten Voxels vorherzusagen. Stattdessen hing die Polymerisationskinetik stark von der Spitzenlichtintensität ab, wobei höhere Intensitäten zu größeren Aushärtungstiefen führten, aber aufgrund der erhöhten Sauerstoffhemmung zu geringeren Voxelbreiten führten. Diese Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an physikbasierten Modellen zur Optimierung der Druckgeschwindigkeit, Auflösung und mechanischen Integrität der additiven Fertigung von Photopolymeren. Das Dobson-Bowman-Modell stellt einen großen Schritt in Richtung einer prädiktiven, auf ersten Prinzipien basierenden Entwicklung der Reaktivität und Struktur von Photopolymeren dar. Durch die getreue Erfassung des dynamischen Zusammenspiels zwischen Licht, Wärme, Massentransport, Reaktionskinetik und Netzwerkbildung bietet das Modell Forschern ein leistungsstarkes Werkzeug zur rationalen Gestaltung von Photoinitiatoren, Monomeren und Verarbeitungsbedingungen für ein breites Anwendungsspektrum. Seine Fähigkeit, die vollständige räumlich-zeitliche Eigenschaftsentwicklung in beliebigen 3D-Geometrien vorherzusagen, eröffnet neue Möglichkeiten für die rechnerische Optimierung von Stereolithographie, Holographie, Zahnmedizin und Beschichtungen. Mit weiteren Verfeinerungen, die Effekte wie Polymerisationsschrumpfung, Photobleichung und die Entwicklung mechanischer Eigenschaften umfassen, werden integrierte Multiphysikmodelle die Entwicklung einer schnelleren, hochauflösenderen und robusteren Photopolymer-Additivfertigung beschleunigen.


Michael Berger
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Michael
Berger



– Michael ist Autor von drei Büchern der Royal Society of Chemistry:
Nano-Gesellschaft: Grenzen der Technologie überschreiten,
Nanotechnologie: Die Zukunft ist winzig und
Nanoengineering: Die Fähigkeiten und Werkzeuge, die Technologie unsichtbar machen
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